Editorial aus dem “KircheAktuell”:
AUF DEN MÜLL DAMIT!
Bei manchen Dingen weiss man: Das muss eigentlich in den Abfall. Entweder es ist kaputt oder so alt, dass es niemand mehr braucht. Und obwohl diese Sachen auf den Müll gehören, hat man doch Mühe sie wegzuwerfen. Vielleicht kennen Sie dieses Gefühl? Mir geht es mit meiner ersten Bibel so: Es ist eine veraltete Übersetzung. Der Buchrücken ist schon lange abgefallen. So manche Seite ist eingerissen oder hat Eselsohren. Auch das Lesebändchen ist abgerissen und viel zu kurz, um noch als Lesezeichen zu dienen. Diese Bibel gehört auf den Müll, und doch bringe ich es nicht übers Herz. In ihr habe ich viele der Geschichten zum ersten Mal gelesen. Während dem Theologiestudium war sie mein treuer Begleiter, alle Merkverse sind mit gelbem Leuchtstift markiert und auch so manche Übungspredigt wurde aus ihr gehalten. Diese Bibel hat mich begleitet, durch Hochs und Tiefs meines Lebens. So oft bekam ich Einsicht oder Kraft beim Lesen darin. Sie ist für mich eine Erinnerung: Die Bibel ist nicht einfach ein Buch wie jedes andere. Ich höre die Stimme Gottes darin. Nicht akustisch hörbar, aber durch Gedanken und Eingebungen. Ich werde angesprochen und berührt. Nicht immer, aber immer wieder. Und so ist meine kaputte Bibel ein Zeichen von Gottes Gegenwart für mich.
Wenn bei Juden eine heilige Schrift nicht mehr benutzbar ist, wird sie aus Respekt würdevoll beerdigt. Vielleicht mache ich das eines Tages auch mit meiner Bibel.
Bis dahin bleibt sie in meinem Regal stehen. Äusserlich gesehen zwar ein Schandfleck zwischen den schönen Büchern, aber als wert volle Erinnerung unersetzlich.
Römer 15,4: «Denn alles in der Schrift wurde für unseren Nutzen aufgeschrieben. Es soll uns Mut machen.»
Lysander Jakobi, Pfarrer